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Camellia tricocos 1589

Klaus Peper

Der Kunsthistoriker und Kamelienliebhaber Arthur Haase in München schrieb mir vor einiger Zeit, er habe Unterlagen über eine Camelia oricocos und eine Camellia tricocas in zwei Büchern gefunden, die eine solche Pflanze in alten Handschriften um 1581 und 1685 gefunden hätten.

Das eine Buch, Gardens and Gardening in Papal Rome von David R. Coffin, zitiert auf Seite 261 ein Dokument, welches in Modena - Italien - im Staatsarchiv liegt. In Ihm werden Pflanzen für Gehölze und Hecken vorgeschlagen; unter anderem, zusammen mit Liguster, stände dort (Zitat aus D. Coffin):

Camelia oricocos

Herr Haase schätzt nach den angegebenen Daten, dass dieses Dokument wahrscheinlich gegen 1589 entstanden ist.

Das zweite Buch, eine faszinierende Untersuchung über den Ursprung des Gottorfer Codex durch Frau Helga de Cuveland, zitiert auf Seite 113 eine Handschrift über ein Garteninventar aus dem Jahre 1655: Unter den zahlreichen Pflanzen befände sich im Protokoll eine

Camellia tricocas

Eine Camellia im 16-17. Jahrhundert? In der Tat wurde spekuliert, ob vielleicht über Rußland Kamelien nach Schloß Gottorf bei Schleswig gelangt sein könnten? Natürlich ist dies Unsinn, denn Georg Joseph Kamel ist erst im April 1661 in Brünn geboren worden und Linné gab der Kamelie erst im Jahre 1755 ihren Namen. Gleichwohl gab es damals eine Pflanze mit dem Namen Camelia oder Camellia, und es wäre sehr reizvoll zu erfahren, was sich dahinter verbirgt.

Die Pflanzennamen vor Linné beziehen sich in der Regel auf griechische und lateinische Wortwurzeln, oft alte Pflanzennamen, sowie auf morphologische Eigenarten (z.B. in der Gestalt oder Verwendung). Erst Linné führt latinisierte Namen von Personen zur Benennung der Pflanzen ein. Während die Bezeichnung 'tricocos' ein auffälliges, bezeichnendes Merkmal der Pflanze ist, nämlich 'dreibeerig' (tri=drei, coccos = Beere), ist bei 'ori-' keine Wurzel zu erkennen. Schnell entsteht der Verdacht, daß ein Lesefehler vorliegen könnte, und daß vielleicht im italienischen Manuskript das Präfix 'ori-' als 'tri-' gelesen werden sollte. Genauso stellt es sich jetzt heraus.

Ich beschaffte mir die Kopien der Originaldokumente und fand, daß beide Quellen falsch gelesen waren:

Villa Tivoli zitiert 'camelia oricocos' - richtige Lesart: 'camelea tricocos'
Gottorf zitiert 'camellia tricocas' - richtige Lesart: 'camelia tricocas'

Im italienischen Text sind die handschriftlichen Aufzeichnungen in der Tat generell falsch gelesen worden: Das 't' ist dort zwar regelmäßig mit geringer oder fehlender Oberlänge geschrieben, aber leicht vom 'o' zu unterscheiden.

Somit ergibt sich eine erstaunliche Übereinstimmung der beiden zeitlich und räumlich getrennten Pflanzennamen.

Ohne Zweifel ist unsere Pflanze dreibeerig, oder ihre Frucht ist dreifächrig. So schreibt Engelbert Kämpfer 1712 in seiner Flora japonica: Sá & Sjùn, vulgo Tsubakki. Frutex flore roseo, fructu pyriformi tricocco. Also doch: Camellia = Tsubacki tricoccon? Aber nein - alles was dreibeerig oder -fächrig ist, ist nicht notwendig eine Kamelie.


Abb. 1: Anfang des Gottorfer Dokuments
"Dem Gärtner Aufm Frl. Newenwerke Michael Gabriel Tarter sein nachgesetzte Sachen so woll ins Pomerantzenhauße, alls auch in der Lustgarten daselbsten befindtlich, den 11. Augusti Anno 1655 überantwordtet worden".


Abb. 2: Gleiches Dokument weiter unten. Quelle: LAS Abt.7, 187, Nr 17 und 18.


Abb. 3: Aus der Tivoli-Handschrift in Modena mit 'Camelea tricocos' Quelle: ASM, Camera Ducale, Fabbriche e villeggiature, Busta 70, Tivoli, no. 6, Villeggiatura sooto Card. Luigi d'Este, fasc. 5, Documenti e carteggi diversi relativi alla Villa di Tivoli, fols. 19r-20v.

Ich danke für die freundliche Hilfe bei der Beschaffung der Kopien: - dem Landesarchiv Schleswig für das Gottorfer Dokument - der italienischen Botschaft Berlin für die Tivoli-Handschrift.

Nachdem die besondere Eigenschaft unserer Pflanze feststeht, nämlich tricoccon, können wir gezielt nach Pflanzen suchen, die in den alten Büchern mit dieser Eigenschaft vorgestellt werden. Das sind nicht zu viele, und schnell kommt man, z. B. im Neuen Kräuterbuch von Theodori Tabernaemontani, auf:

Chamaelea Arabum tricoccos

Sehen wir in Scheller's Lexikon lateinisch-deutschem Hand-lexikon nach, so finden wir den Eintrag:

Chamelaea, ae, f. (camelaia), Zwergölbaum, ein Strauch, Cneorum tricoccon L., Plin.

Somit sind auch die griechischen Wortwurzeln bestimmt: - Zum einen der Ölbaum, Eleia (elaia), auf Latein Olea. - Zum anderen das Praefix cham- (cam-) vor Vokalen beziehungsweise chamae- (camai-) vor Konsonanten.

Die Vorsilbe cham-, chamae- bedeutet: zwergig, auf der Erde. Damit ist einmal unsere Pflanze identifiziert, wir verstehen aber jetzt auch andere Namen:

  • Chamae-leon = kleiner Löwe
  • Chamae-cyparis = Zwergzypresse (kann jedoch sehr groß werden)
  • Chamae-melon = Kamille (kleines Kraut, nach Apfel duftend??)

Das griechische 'c' (gesprochen wie in ich) ist, besonders im Anlaut (Wortbeginn), von späteren Sprachen nicht übernommen worden und wird in der Regel als 'k' oder 'sch' gesprochen. Im Deutschen finden wir nur wenige Worte mit Anlaut Ch: Chemie, China, Chirurg, Chiemsee, meist Lehnworte. Andere Lehnworte haben sich schon gewandelt: so wird der" Zwerglöwe" in fast allen Sprachen "Kamäleon" ausgesprochen, und in einigen Wörtern hat sich die Wandlung von "Ch" nach "C" oder "K" auch schon im Deutschen im Schriftbild durchgesetzt, ein Vorgang, der in anderen Sprachen bereits viel weiter gediehen ist.

So schreibt der gute Leonhart Fuchs in seinem berühmten Kräuterbuch über die Kamille:

Kamille

Die Abbildung der Pflanze, eine Seite weiter, unterschreibt er aber mit:  Camillen.
Beachte den Laut- und Schriftwechsel von Chamaemelon zu Chamillen zu Camillen zu Kamille.

 

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Hier nun ein Abbild unserer Pflanze. Sie ist fotoscheu (schwer zu fotografieren), daher ein Holzstich aus dem Tabernaemontanus mit Beschreibung des 30 cm hohen Strauchs:

Camellia tricoccos
Abb. 4: Cneorum tricoccon L. coloriert von K. P.

Von Seydelbast.

Dies Gewächs wird beschrieben/ daß es mit seinen Ästen oder Räben fast zweyer Elenbogen hoch aufwachse/ welche etwas runtzlicht und holtzecht seyn: Die Blätter sind etwas lang/ breit/ grün und auch landlech/ beynahe wie die Blätter des Oleastri, oder der Phyllireae tenuifoliae. Seine Blümlein seyn bleichgelb/ kleiner dann an der Laureola, nach welchen die Frucht erfolget/ welches drey Beerlein oder Körnlein seyn/ welche zusammen gewachsen seyn/ daher es auch Tricoccos genennt wird/ dieselbige Beerlein seyn erstlich grün/ darnach wann sie zeitig worden/ seyn sie roth/ den Körnern der Wolfsmilch gleich/ ohn allein daß die Körnlein gar hart und holtzecht seyn/ und wann man sie käuet/ haben sie gar ein scharfes/ hitziges Mark/ welches sehr trucknet. Die wurzel ist holtzecht und zu nichts nutz.

Es wächst in Gallia, Italia, Narbona, und anderswo mehr/ blühet im heissen Sommer/ und gewinnet seine Frucht im Augusto.

Von den Namen

Dieses Gewächs wird von dem Authore Theutsch genennt Seydelbast. Lateinisch Chamaelea Arabum tricoccos, also wird es auch von Lobelio genennt/ item Mezereon Arabum in adversariis fol. 157. heißt auch Oleastellum. [und Thymelea.] Griechisch camelaia. [Englisch Wildini Wayle/ Spurge Olive. ]

Etliche wollen die Frucht Coccum cnidium nennen/ andere aber seyn darwider.

 

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Die Pflanze ist im westlichen Mittelmeer und auf den Kanarischen Inseln heimisch und war schon im Altertum sehr bekannt wegen der abführenden Wirkung ihrer beißenden Beeren und Blätter. Dies hat sie gemein mit dem Seidelbast. Da es ursprünglich keine biologische, sondern nur eine pharmakologische Verwandtschaft zwischen Pflanzen gab, wurde Chamelea oft mit Thymelea (Daphne, Seidelbast, Kellerhals) verwechselt, bevor Linné die Namen festlegte.

Pflanzenbücher wurden im Altertum bis zum späten Mittelalter als "Rote Liste" der Ärzte angelegt, mit genauen Beschreibungen, welche Pflanzen bei welchen Krankheiten zu verwenden seien, die Register enthielten nicht Pflanzennamen, sondern Krankheiten. Alle diese Bücher waren Fortschreibungen zweier Quellen: der DIOSKURIDES und der PLINIUS. Beide lebten um 60 n.Chr., kannten sich nicht, hatten aber auf gemeinsame frühere Quellen zurückgegriffen.

Dioskurides

Pedanios Dioskorides, um 50 n.Chr., griechischer Arzt aus Anazarbos in Kilikien (Kleinasien), verfaßte eine 5-bändige Arzneimittellehre, in der er über 500 medizinisch wirksame Pflanzen und deren Gebrauch darstellte. Dieses Buch wurde im Orient wie im Abendland oft kopiert. Es war die Grundlage aller medizinischen Pflanzenbücher bis ins 18. Jahrhundert. Die älteste überkommende Kopie ist ein Prachtband, der aus dem Anlass der Stiftung einer Marienkirche in Honoratae (Stadtteil in Konstantinopel) durch Prinzessin Juliana Anikia 512/13 in einem Atelier der Hauptstadt in griechischer Majuskelschrift hergestellt wurde. Diese wertvolle, eindrucksvolle Handschrift ist heute nach sehr bewegtem "Leben" einer der Hauptattraktionen der Wiener Nationalbücherei, er gehört zu recht zum "WELTKULTURERBE"

Natürlich ist auch der kleine Ölbaum Chamelea im Dioskurides behandelt, wie das Inhaltsverzeichnis ausweist. Leider ist aber die Seite mit der Zeichnung und Beschreibung abhanden gekommen. Da jedoch die 5 Bücher von Dioskurides: "De materia medica" immer wieder kopiert und übersetzt wurden, hat sich das Wissen gehalten. Ich zitiere daher aus der deutschen Übersetzung durch Johannes Danzius, Franckfurt, 1610:

Plinius

Gajus Plinius Secundus, der ältere (Maior), geb. 23 n.Chr. in Como, gest. 79 in Pompeii beim Vulkanausbruch (wie sein Neffe und Adoptivsohn Plinius Minor ausführlich berichtet, nur war dieser vorsichtiger und hat sich nicht so dicht herangetraut). 45 bei der römischen Reiterei in Germanien, dann bei der kaiserlichen Finanzverwaltung unter Vespasian, Befehlshaber der römischen Flotte in Misenium (Golf von Neapel). Zahlreiche Bücher: Geschichte aller Germanenkriege (20 Bände), Nero und Nachfolger (37 Bände), Grammatik, Rhetorik, Naturwissenschaften. Einziges erhaltenes Werk ist die "Historia naturalis" eine Encyclopädie in 37 Bänden. Oft als kritiklose, unzuverlässige Kompilation hingestellt, ist es doch eine der wertvollsten Quellen zum Wissen des Altertums. Mehrere Bände über Pflanzen. Der Weinbau wird ausführlich behandelt, Vermehrung durch Pfropfen, richtige Erde usw. Die wichtigsten Flüssigkeiten, welche die Natur dem Menschen gegeben, seien Wein und Öl (für innere und äußere Anwendung)!

Echtes Öl kam nur vom Ölbaum, unechtes von anderen Früchten, unter anderem von der Chamelaea, die er als Zwergölbaum vorstellt, und deren Beeren und Blätter er als Abführmittel nennt (granum Cnidium, gnidisches Korn).

Eine hervorragende kommentierte lateinisch-deutsche Ausgabe der Naturkunde des Plinius gibt es in der Tusculum Bücherei im Heimeran oder Artemis Verlag

Bibliographie

Coffin, David R.:
Gardens and Gardening in Papal Rome
Princeton University Press, 1991,
ISBN: 0691040893

Cuveland, Helga de:
Der Gottorfer Codex von Hans Simon Holtzbecker
Werner'sche V.G. 1989
ISBN 3-88462-065-7

Dioskurides, Pedanius:
Der Wiener Dioskurides
Reprint
Glanzlichter der Buchkunst, Band 8/1 und 8/2.
Akademische Druck- u. Verlagsanstalt
Graz/Austria
ISBN 3201016993 und 3201017256

Fuchs, Leonhart :
New Kräuterbuch
gedruckt 1543 zu Basel

Plinius Secundus d.Ä.
Naturalis Historiae (Naturkunde)
z. B. Libri XII/XIII (Botanik: Bäume)
Tusculum -Bücherei
Heimeran Verlag 1977, ISBN 3776521449

Theodorus, Jacobus (Tabernaemontani):
(bearbeitet durch Casparum Bauhinium und Hieronynum Bauhinium):
Neu vollkommen Kräuterbuch
Basel 1731

Scheller's Lexikon lateinisch-deutsches Hand-lexikon
Leipzig 1822)

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